Wer kennt das nicht: Die Medikamente von Patienten sind nahezu aufgebraucht. Angehörige müssen bei Ärzten Rezepte ausstellen lassen. Soll eine Plegekraft in solchen Fällen Medikamente verordnen dürfen?

Wie das Deutsche Ärzteblatt berichtete, forderte Franz Wagner, Präsident des Deutschen Pflegerates, eine neue Verteilung der Aufgaben im Gesundheitswesen:

„Wir möch­ten, dass eine Pflegekraft nicht nur deshalb einen Arzt hinzuziehen muss, weil dessen Unterschrift für die Abrechnung der Leistung mit der Krankenkasse gebraucht wird – obwohl der Arzt den Patienten möglicherweise gar nicht gesehen hat.“

Pro und contra

Dafür spricht, dass solche zeitraubenden bürokratischen Routinen überflüssig würden. Pflegekräfte und auch Angehörige würden Zeit sparen.

Dagegen spricht, dass der Medikamentenplan wahrscheinlich beibehalten würde, obwohl eine höhere Dosierung nötig oder eine geringere möglich wäre. Eine ärztliche Untersuchung ist unverzichtbar, um festzustellen, ob Medikamente wie gewünscht wirken, oder ob man sie vielleicht wechseln muss. Auch Nebenwirkungen von Pharmaka auf den individuellen Patienten können Ärzte besser beurteilen.

Aber was, wenn es nur um die Unterschrift geht? Bestünde dann nicht der Anreiz, Verordnungen endlos zu verlängern?

Verantwortung und Haftungsfragen

Sollen Pflegekräfte bei ambulanten Pflegediensten zum Beispiel Medikamente wie Zopiclon gegen Schlafstörungen verordnen dürfen? Die dann womöglich das Herz belasten? Wer haftet, wenn ein Patient durch die Folgen einer Verordnung Nieren- oder Herzschäden erleidet oder gar stirbt?

Stirbt ein Patient, wenn zum Beispiel ein Arzt eine Kontraindikation übersehen hat, nennt man das „iatrogen“ (durch den Arzt verursacht). Die Wahrscheinlichkeit, dass Ärzte für Behandlungsfehler haften, ist weitaus geringer als sie bei Pflegekräften wären, die Medikamente verordnen. Denn die Qualifikation in pharmazeutischen Fragen ist nach einem Medizinstudium zweifellos höher als nach einer Pflegeausbildung, so dass Zweifel der Angehörigen an der Richtigkeit der Verordung weitaus unwahrscheinlicher sind.

Eine 2009 in Großbritannien durchgeführte Studie des General Medical Council analysierte 124.260 Medikamentenverschreibungen in 19 Krankenhäusern. Dabei enthielten 8,9 % der Verordnungen Fehler. 1,7 % waren sogar potentiell tödlich.

Laut einem Bericht im Stern ist nur für ein Drittel aller Fehler, die bei der Verordnung von Medikamenten passieren, das Pflegepersonal verantwortlich, vor allem durch Verwechslungen (die wiederum größtenteils durch Zeitdruck entstehen). In zwei Drittel der Fälle seien es laut Stern die Ärzte, die zum Beispiel durch Nichtbeachten von Kontraindikationen oder negativen Wechselwirkungen dazu beitragen, dass jährlich 28.000 Menschen aufgrund von fehlerhaften Arzneimittel-Gaben starben.

Neben Krebs- sind vor allem Verschreibungen von Herz-Kreislauf-Medikamenten komplex und riskant:

  • ACE-Hemmer
  • Aldosteron-Antagonisten
  • Angiotensinrezeptor-Blocker
  • Beta-Blocker
  • Digitalis: Herzglykoside
  • Diuretika
  • Neprilysin-Inhibitor

Das Bundesministerium für Bildung und Forscung schreibt, dass ACE-Hemmer zu selten gegen Herzinsufizienz verschrieben werden. Beta-Blocker sind heftig umstritten. Herzglykoside wie „Digitalis“ steigern die Schlagkraft des Herzmuskels und senken die Herzfequenz, können aber auch Appetitlosigkeit und Herzrhythmusstörungen auslösen. Diuretika („Wassertabletten“) helfen, bei einem schwachen Herz Wasseransammlungen im Körper abzubauen, können aber auch bewirken, dass der Körper mit dem Wasser zu viele Mineralien verliert. Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitoren (ARNI) senken den Blutdruck, können aber die Nierenfunktion beeinträchtigen. Aldosteron-Antagonisten können das Fortschreiten einer Herzschwäche hinauszögern, aber auch Nierenfunktionsstörungen, Wasseransammlungen im Gewebe und niedrigen Blutdruck bewirken.

Können und wollen Pflegekräfte eine solche Verantwortung übernehmen? Wer haftet bei falsch verordneten Medikamenten – und sei es nur durch die Folgeverordnung eines Medikaments, das abgesetzt werden müsste?

Fragen an Dich: Grenzen definieren

Die Forderung von Pflegerat-Präsident Wagner ist mutig. Man müsste die Idee durchdenken und Grenzen definieren.

Was meinst Du?

  • Wo siehst Du die Grenzen von Kompetenz und Verantwortung der Pflegekräfte bei der Medikamentenverordung?
  • Was spricht dafür, was dagegen?
  • Welche Medikamente würdest Du selbst gern verordnen dürfen?
  • Welche rezeptpflichtigen Medikamente hältst Du für unkritisch?