Die Pflegekräfte der Unikliniken in NRW erstritten mit ihrem Streik zwar nicht mehr Gehalt, aber mehr Personal. Im Verdrängungswettbewerb könnten nun Pflegekräfte von Pflegediensten und kleinen Krankenhäusern an große Kliniken abwandern.

Prof. Dr. Jochen Werner, Medizinischer Leiter des Universitätsklinikums Essen, erklärte dazu:

„Die Personalschlüssel werden jetzt noch besser werden. Allerdings wird der Sog dann noch stärker in die Unikliniken gehen. Die Verlierer sind alle anderen Krankenhäuser in den Ebenen darunter. Am Ende werden die Pflegekräfte nicht mehr an Unikliniken fehlen, sondern in den kleineren Kranken­häusern, in der ambulanten Pflege oder der Altenpflege“.

Es ist ein Nullsummenspiel: Wenn die Zahl der Pflegekräfte nicht steigt, müssen sich die Kliniken und auch Pflegedienste gegenseitig bei Gehältern, Arbeitszeiten und sonstigen Bedingungen überbieten.

Prof. Dr. Edgar Schömig, Vorstandsvorsitzender und Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik Köln, formuliert es wie folgt:

„Wer in einer Uniklinik arbeitet, kann sich künftig sicher sein, dass es zumindest national keine besseren Rahmenbedingungen in anderen Krankenhäusern gibt.“

In Großstädten werden Pflegekräfte die Arbeitsbedingungen vergleichen und oft eher zu den größeren Kliniken wechseln bzw. dort ihr Berufsleben beginnen.

Aus für kleine Kliniken: Nur eine Frage der Zeit?

Wie sollen Seniorenheime und kleine Krankenhäuser gegen die höheren Budgets der Unikliniken mithalten? Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat seit Jahren klare Vorstellungen. Wenn es nach ihm geht, stehen kleine Kliniken vor der Schließung. Selbst wenn die nächste Regierung von der CDU/CSU angeführt wird, sieht es nicht besser aus: Ex-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn forderte Anfang 2020 „mehr Mut bei Krankenhausschließungen“.

 

Lauterbach will jede zweite Klinik schließen

Anzahl Krankenhäuser in Deutschland unter 1.900

Von 1991 bis 2020 (aktuellste veröffentlichte Zahlen des Statistischen Bundesamts) sank die Zahl der Krankenhäuser in Deutschland um ein Fünftel von 2.411 auf 1.903.

Laut u.a. Berliner Zeitung (Liste: Siehe Yahoo News) wurden 2020 zwanzig weitere Krankenhäuser ganz oder teilweise geschlossen. 2021/2022 sollten über 40 weitere Krankenhäuser geschlossen werden bzw. wurden geschlossen (Daten wurden noch nicht veröffentlicht).

Der Verdrängungswettbewerb geht weiter. In ländlichen Regionen werden die Fahrten zum nächsten Krankenhaus immer länger. Planbare Operationen in kleinen Krankenhäusern sollen möglichst abgeschafft werden.

Was bedeutet der Tarifvertrag Entlas­tung (TV-E)?

Laut Gewerkschaft Verdi wurden an den NRW-Unikliniken im soge­nannten „Tarifvertrag Entlas­tung“ (TV-E) für die Pflegekräfte und andere Klinikbereiche „schichtgenaue Verhältnisse von Be­schäftigten und Patienten“ festgelegt. Wird die Personalquote unter­schritten, erhalten die Beschäftigten so­genannte „Belastungspunkte„, für die es dann eine bestimmte Zahl von freien Tagen gibt. Für Service-, IT- und Technikbereiche sowie Ambulanzen wurden je 30 zusätzliche Vollzeitstellen pro Uniklinik vereinbart. Zudem soll die Ausbildungsqualität verbessert werden.

Dieser Tarifvertrag ist nun ein Vergleichsmaßstab für die Kliniken und Pflegeheime in ganz Deutschland.

Für Unikliniken in kirchlicher Trägerschaft gilt der Tarifvertrag nicht. Zwar verwenden die kirchlichen Träger wie Diakonie und Caritas ein eigenes Tarifsystem, aber auch sie stehen als Arbeitgeber in Konkurrenz zu anderen Betreibern.

Christoph Hanefeld, Chef der katholischen Kliniken Bochum (KKB), geht davon aus, dass der Entlastungstarif­vertrag auch Auswirkungen auf die von ihm verantworteten Unikliniken in Bochum, Herne, Hamm, Bad Oeyn­hausen, Herford und Minden-Lübbecke haben wird. Laut Hanefeld droht eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Der bereits bestehende Verdrängungswettbewerb ums Personal würde sich „nochmals verschärfen“.

Tarifliche Entlohnung ab September Pflicht in der Pflege

Kleine Krankenhäuser kommen nun von zwei Seiten Druck: Einerseits zahlen die Universitätskliniken besser. Andererseits könnten Pflegekräfte eher aus den stressigen Krankenhäusern in die Pflegedienste abwandern.

Denn wie die AOK berichtete, werden ab dem 1. September 2022 gemäß §72 Abs. 3a-f SGB XI „nur noch Pflegeeinrichtungen zur Versorgung zugelassen, die ihr Pflege- und Betreuungspersonal nach Tarif oder kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen bezahlen oder mindestens in Höhe eines Tarifvertrags oder einer kirchlichen Arbeitsrechtsregelung entlohnen.“

Auch Pflegedienste erhalten nur noch eine Zulassung, wenn sie die Tariftreue erfüllen.

Seit eine höhere Entlohnung von den Kostenträgern finanziert wird, erhalten wir enorm viele Bewerbungen aus den Kliniken, weil unsere Stellenangebote nun noch attraktiver sind als die aufreibende Klinik-Arbeit.