Von Ibuprofen bis zu Insulin, Herz- und Krebsmedikamenten: Die Liste nicht kurzfristig lieferbarer Medikamente ist laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf 527 angewachsen.

„Nicht kurzfistig lieferbar“ bedeutet eine Lieferzeit von mindestens zwei Wochen. Teilweise müssen Patienten auch monatelang, und in einigen Fällen bis zu 2 Jahre (zum Beispiel das Antibiotikum Nifurantin: Oktober 2021) darauf warten.

2019 musste in Deutschland bei 9,3 Millionen Rezepten auf ein anderes Medikament ausgewichen werden, sofern überhaupt eines als Ersatz tauglich war. Krankenhäuser müssen oft rationieren oder versuchen, in Apotheken Restbestände aufzutreiben. Therapien können teilweise erst später beginnen oder müssen unterbrochen werden.

Besonders gefährlich wird es für Patienten, wenn in lebensbedrohlichen Situationen die lebensrettenden Medikamente fehlen. Dies war beispielsweise im Sommer 2018 bei einem Mittel für Insektengift-Allergiker der Fall, um einen anaphylaktischen Schock zu behandeln.

Ein anderer Fall ist Cytarabin, ein für viele Patienten unersetzbares Medikament bei akuter myeloischer Leukämie. Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete von einer Klinik, die nur noch 4 Gramm des Wirkstoffs bei einem Monatsbedarf von monatlich 200 Gramm vorrätig hatte. Das ist dann kein Lieferengpass mehr, sondern eine lebensgefährdende Versorgungslücke.

Michael Horn, Direktor der Abteilung „Zulassung 1“ beim BfArM, erklärte dazu, dass die Zahl der gemeldeten Lieferengpässe bei Arzneimitteln kontinuierlich steigt und deren Auswirkungen auf die Patientenversorgung spürbar zunehme. Zum Vergleich: 2013 lag die Zahl kurzfristig nicht lieferbarer Präparate bei lediglich 40.

Im Deutschen Ärzteblatt nannte Horn das Beispiel Valsartan, einer der in Deutschland am häufigsten eingesetzten Wirkstoffe zur Behandlung der Hypertonie. Im Sommer 2018 wurden eu­ropaweit Chargen des chinesischen Herstellers Zhejiang Hua­hai Pharmaceutical zurückgerufen. Hier kam es zu Verunreinigungen des Wirkstoffs mit dem potenziell krebserregenden NDMA. Valsartan wurde aus dem Verkehr gezogen, und der chinesische Hersteller verlor die Berechtigung, Valsartan in die EU zu liefern.

Horn kommentierte: „In Deutschland waren rund eine Million Patienten von dem Rückruf betroffen. Angesichts dieser Auswirkungen muss man sich fra­gen, ob man die Monopolisierung auf dem Pharmamarkt immer weitertreiben solle.“

Liste der nicht kurzfristig lieferbaren Medikamente

Die (bis auf Impfstoffe und veterinäre Medikamente) komplette Liste der Medikamente mit Lieferengpässen findest Du hier (pdf). Die Liste der Impfstoffe mit Lieferschwierigkeiten findest Du hier.

Ursachen: Marktkonzentration und globaler Wettbewerb

Wie konnte es so weit kommen? Dr. Klaus Michels, Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe, sieht den Grund für die Lieferengpässe beim Spardruck in der Gesundheitspolitik. Dieser sei mittlerweile so hoch, dass eine Versorgungsqualität und –Sicherheit nicht mehr gewährleistet sei.

Für einige der „versorgungsrelevanten“ Wirkstoffe gibt es inzwischen nur noch einen bis zwei große Hersteller. Fällt die Produktion eines der großen (oder des einzigen) Hersteller aus, kommt der Engpass schnell, weil auch die Lagerhaltung der Apotheken durch den Kostendruck minimiert wurde.

Ein weiterer wichtiger Grund: Im globalen Markt ist es für Pharma-Hersteller und -Händler profitabler, Länder zu beliefern, in denen höhere Preise verlangt werden können als in Deutschland.

Weitere Ursachen von Lieferengpässen sind laut Michael Horn vom BfArM un­zureichende Produktionskapazitäten, Qualitätsmängel bei der Herstellung, Produktionsprobleme / Produktionsausfälle, Lieferverzögerungen für Roh­stoffe oder gleich die komplette Einstellung der Produkte durch den Hersteller.

Lösen Mindestreserve und Exportverbote das Problem?

Die Bundesregierung sieht die Lösung darin, Apotheken zur Lagerhaltung eines 4-Wochen-Vorrats zu verpflichten und die Exporte knapper Medikamente zu beschränken.

Fritz Becker, Chef des Apothekenverbands, hält den Vorschlag einer Medikamenten-Reserve „nicht für alle Wirkstoffe praktikabel“, wie zum Beispiel bei Insulin, dass mit der Lagerung seine Wirkung verliert. Eine Mindestreserve sei aber sinnvoll bei versorgungsrelevanten Wirkstoffen, die etwa für Krebspatienten benötigt werden. Bei Arzneien wie Ibuprofen dauert der Lieferengpass bis zu sechs Monate. „Wenn sie das dann vier Wochen länger haben, nützt das auch nichts“, sagte Becker, der selbst eine Apotheke betreibt.

Welches Problem Exportverbote lösen sollen, wenn die Medikamentenherstellung bereits ins Ausland verlagert wurde, bleibt unklar.

Was meinst Du?

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