Jährlich sterben in Deutschland rund 900 Patienten auf Organspende-Wartelisten. Der Bundestag lehnte nun die „doppelte Widerspruchslösung“ zur Organspende ab. Dabei liegt das Problem weniger in der Spendebereitschaft, sondern vor allem in den Abläufen der Krankenhäuser.

Nur 3 % der möglichen Organspender werden tatsächlich zu Spendern

Derzeit stehen in Deutschland rd. 9.500 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Gleichzeitig gab es zum Beispiel 2015 (aktuellste verfügbare Zahlen) über 27.000 mögliche Organspender. Das sollte doch reichen, oder? Weit gefehlt! Die Anzahl der tatsächlichen Organspender in Deutschland sank von 2010 bis 2017 (aktuellste Zahlen) um mehr als ein Drittel von 1.296 auf auf kümmerliche 797.

Anders ausgedrückt: Nur 3 % der möglichen Organspender werden tatsächlich zu Spendern. Zumindest von der Anzahl her wären ausreichend viele Organe verfügbar, auch wenn sie wegen inkompatibler Blutgruppen etc. nicht universell passen oder weil die potentiellen Spender mit Krankheiten wie Hepatitis oder HIV infiziert waren.

Die wichtigste Ursache für den Mangel an verfügbaren Organen sind erstens das Meldesystem der „Projektkrankenhäuser“ und zweitens die Hemmungen von Ärzten, Angehörige von Hirntoten anzusprechen. Nur 8,2 Prozent der verfügbaren Organe werden gemeldet.

Die Situation ist für die Betroffenen dramatisch – und es kann jederzeit jeden treffen:

  • 36% aller Bürger haben einen Organspendeausweis, in der Altersgruppe von 18 bis 29 sogar 51%.
  • Derzeit stehen in Deutschland rd. 9.500 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Bei dieser Zahl sind jedoch die Patienten nicht berücksichtigt, die zwar ein neues Organ bräuchten, aber nicht auf die Warteliste aufgenommen wurden.
  • Laut Deutscher Stiftung Organtransplantation (DSO) werden Nieren mit Abstand am dringendsten gesucht. Die Proportion des Bedarfs zeigt sich an der Zahl der Transplantationen (Deutschland 2019): Bei 2.995 Transplantationen wurden 1.524 Nieren verpflanzt, 726 Lebern, 329 Lungen, 324 Herzen, 87 Bauchspeicheldrüsen und 5 Dünndärme.
  • Laut DSO müssen in Deutschland über 90.000 Patienten aufgrund von Nierenversagen zur Dialyse. Etwa der Hälfte von ihnen könnte mit einer Nierentransplantation geholfen werden, wenn die Wartezeiten auf eine Spenderniere kürzer wäre. Derzeit beträgt die Wartezeit durchschnittlich 8 Jahre.
  • Die Anzahl der möglichen Organspender nahm in Deutschland von 2010 bis 2015 von 23.937 auf 27.258 zu. Diese Entwicklung ist bedingt durch eine Zunahme der Todesfälle mit einer schweren Hirnschädigung, sowie einem höheren Anteil von Patienten mit einer Beatmungstherapie vor ihrem Tod.
  • Die Kontaktquote zur DSO (organspendebezogene Kontaktaufnahmen zur DSO/mögliche Organspender) sank von 11,5 auf 8,2 %, die Realisationsquote (realisierte Organspenden/mögliche Organspender) von 5,4 auf 3,2 % und die Konversionsquote (Realisations-/Kontaktquote) von 47 auf 39,1 %.

Vertiefende Informationen bietet Dr. Siegmund-Schultze im Deutschen Ärzteblatt.

Warum viele Menschen ihre Organe nicht spenden wollen

Was hält Menschen davon ab, Organe zu spenden? Selbst unter denen, die einen Organspendeausweis besitzen, erlauben laut einer Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung nur 81% eine Organentnahme ohne jegliche Beschränkung. 56% wollen ihre Augenhornhaut nicht spenden. Das Herz schließen 27% von der Spende aus, die Haut 17 Prozent. Man fragt sich: Warum?

Manche Menschen stößt das (vermutete und vermeintliche) Gemauschel der Organverteilung ab. Andere fürchten, bei schwersten Erkrankungen oder Verletzungen zu schnell aufgegeben zu werden – eine durchaus nachvollziehbare Sorge. Desweiteren gibt es religiöse Gründe, Unkenntnis, etc.

Darum ging es bei der Bundestagsabstimmung

Bei der von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vorgeschlagenen „doppelten Widerspruchslösung“ sollten alle Bürger automatisch als Organspender gelten. Liegt keine Willensbekundung der potenziellen Spender vor, sollten die Angehörigen widersprechen dürfen. Dabei dürften sie aber nicht ihre eigene Meinung geltend machen, sondern den Willen der potenziellen Spender einschätzen. Diesen Vorschlag lehnte der Bundestag ab.

Stattdessen beschloss der Bundestag, dass jeder Bürger mindestens alle zehn Jahre „passiv“ auf das Thema angesprochen werden soll. „Passiv“ heißt: Wer ab dem Alter von 16 Jahren einen Personalausweis oder Reisepass beantragt oder verlängert, soll jedes Mal vom Einwohnermeldeamt eine Broschüre zur Organspende erhalten. Im Amt oder auch später auch zu Hause soll man sich in ein neues Online-Register eintragen können – mit Zustimmung oder Ablehnung der Spendebereitschaft.

Eine alternative, um mehr Spender zu gewinnen

Die Neuregelung des Bundestags wird voraussichtlich die Zahl der Spendewilligen erhöhen. Noch effizienter würde wahrscheinlich eine andere Lösung wirken:

Jeder will im Enstfall ein Organ erhalten, aber noch immer sind lediglich 36% der Menschen (Inhaber von Organspendeausweisen) bereit, selbst zu spenden. Wie motiviert man den Rest? Aufklärung und Aufforderungen, wie sie der Bundestags beschlossen hat, werden das Potential nicht ausreizen.

Die Zahl der Spendewilligen könnte wahrscheinlich drastisch erhöht werden, wenn Inhaber von Organspendeausweisen beim Erhalt von Organen bevorzugt werden. Wenn Menschen, die keinen Organspendeausweis haben, auf den Wartelisten automatisch hinter Ausweisinhaber rutschen, könnte die Spendebereitschaft erheblich steigen. Voraussetzung dafür ist, dass niemand beim Antrag auf einen Ausweis abgelehnt wird (Erkrankungen und Infektionen werden ohnehin vor der Entnahme getestet).

Unterfinanzierung

Aber selbst wenn jeder Mensch einen Organspenderausweis besäße, bleibt das Problem bestehen: Aus viel zu wenig potentiellen werden tatsächliche Spender. Um das Problem zu lösen, muss man bei den „Projektkrankenhäusern“ bzw. deren Kapazitäten und Ärzten ansetzen. Projektkrankenhäuser haben auf vielen Intensivstationen Kapazitätsprobleme bei der Beatmung, fast ein Viertel auf Intensivstationen. Durchschnittlich 2,5 Arztstellen und 10,1 Pflegestellen in Intensivbereichen waren wegen Geldmangel unbesetzt.

Wie ein funktionierender Ablauf aussehen könnte, beschreiben Autoren im Deutschen Ärzteblatt.

Auch die Koordination über Eurotransplant hilft, die verfügbaren Organe bestmöglich zu verteilen.

Was meinst Du?

Welche Erfahrungen hast Du in Deinem Leben oder in Deinem Pflegeberuf mit dem Thema Organspende gemacht? Was schlägst Du vor, um den Mangel zu beheben? Wir freuen uns auf Deine Kommentare in unserer Facebook-Gruppe.

 

Beitragsbild: Pixabay